Reisenotiz;
Es gibt Orte denen man ihr Scheitern bereits auf den ersten Blick ansieht. Das „Hotel Slovakia“ in Žilina ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Bereits am Eingang offenbart sich dem Besucher ein Anblick vom verstaubten Protz vergangener Zeit; billige Dekorationsgegenstände, geschmacklose Sitzgelegenheiten, Kitsch;
In den 60er Jahren sollen sich hier das who is who der slowakischen Prominenz getroffen und rauschende Feste stattgefunden haben. Kaum vorstellbar, wenn man auf die schmatzenden Fußmatten vor den Duschkabinen tritt oder versucht die veralteten Fenster, die sich von der Mitte her nach außen kippen lassen, zu öffnen. Die Zimmer sind denkbar schlicht eingerichtet, mit viel dunklem Holz, Röhrenfernsehern und Betten, deren Überzüge an die Sitzmuster ausrangierter Omnibusse erinnern. Wohl um den Räumen etwas Leben einzuhauchen, hängen an den Wänden nichtssagende Bilder und Kunstpflanzen. Abgerundet wird dieser ‚Zustand‘ durch alte, gelbe Vorhänge und einen Schminktisch, zu dem es keinen Sessel gibt.
Trotzdem ist das Gebäude als Ganzes betrachtet eine Schönheit. Eine ramponierte Schönheit zwar, mit klobigem, grauem Leib im Stil der klassischen, kommunistischen Großbauten, aber immerhin mit dem historischen Charme verflossener Größe. Selbiges gilt für die Leute im Inneren des Gebäudes und jene die man im nahegelegenen Einkaufszentrum trifft. Wobei die Männer, wie an vielen Orten, zum gößten Teil nicht der Rede wert sind. Entweder wirken sie abwesend und staubig, betrunken und verschlagen; oder sie tragen eng anliegende Oberteile von Marken wie Ed Hardy und zeigen ihre Muskeln. Ich schaue aus dem Fenster, trinke;
Die meisten Frauen hingegen sind von klassisch rauer osteuropäischer Schönheit. Viele kleiden sich haarsträubend; oft mit billigen Stoffen in knalligen Farben, oder sie gehen in schlecht-sitzenden hochhackigen Schuhen durch die Straßen. Manche dieser Kleider machen den Eindruck, als ob sie für einen symbolischen Betrag aus dem nächsten Mode-Diskonter erworben worden waren. Und trotzdem bewahren ihre Trägerinnen dabei Klasse und ein Format, dem auch blondierte Haare und pinke Bauchgürtel nur wenig abzutragen vermögen.
#2
Im lokalen Kulturzentrum ist es wie erwartet. Es gibt einen Barbereich, Veranstaltungsräume, Büros. Leute reden über Antikapitalismus, Antifaschismus, Kunst – man kennt das ja. Zu kaufen gibt es biologische Fruchtsäfte und moderne Lifestyle-Getränke. Natürlich auch Bier; und das zu einem Preis, der sich für mich gut anfühlt und in etwa nur die Hälfte des gewohnten Preises ausmacht. Immerhin.
Im Außenbereich kochen gutaussehende und modern gekleidete Linke vegan. Zu ihrer Freude müssen sie Leute hier nicht wie andernorts mit lehrmeisterhaftem Geschwafel abstrafen, man ist hier ja unter sich. Der Pöbel kauft draußen seine Billigwurstwaren und Fastfood ein – hier wird selbst gekocht – ‚fair‘ ohne Gluten und diese Dinge. Beim Saufen höre ich so gut wie nie Gespräche über Gluten in Bier oder darüber, ob der getrunkene Wein vegan sei und nicht mit tierischem Material geklärt wurde. So sehr betrifft dieses Thema das eigene Leben dann wahrscheinlich doch nicht.
Ich bin froh, dass ich hier bin während ein Festival stattfindet. Tagsüber gibt es Aufführungen verschiedener Art, die alle im Entferntesten etwas mit zeitgenössischem Tanz zu tun haben. Bisher hatte ich mich mit solchen Dingen nur sporadisch beschäftigt. Da ich kostenlosen Zutritt zu den Veranstaltungen habe, sehe ich mir jene an die vielversprechend beschrieben werden. Die Qualität ist wie erwartet schwankend; geniale Stücke wechseln sich mit wertlosem Mist ab. Die Stimmung ist überall sehr körperlich; die Leute atmen oft laut, auch wenn sie nicht auf der Bühne stehen. Es wirkt sehr aufgesetzt und meistens suche ich als erstes die Bar. Nicht immer gibt es an den verschiedenen Aufführungsstätten eine.
Man kreuzt wiederholt die Wege der selben Menschen. Es sind vor allem Kunstfuzzis und Leute, die sich gerne selbst reden hören. Jener Schlag, der den Kopf schief zur Seite neigt, wenn er Wein trinkt; bedeutungsvoll „mhm“ sagt, wenn irgendein Arschloch etwas über Noam Chomsky erzählt. Es sind Momente wie diese, in denen einem viele Argumente für die Kürzung der Kulturförderungen einfallen würden und ich erinnere mich langsam wieder, weshalb ich an der Uni nur wenige Freundschaften geschlossen habe.
#3
Zum Abschluss sah ich mir eine Solo-Vorstellung eines anscheinend recht bekannten slowakischen Tänzers unter einer Autobahnauffahrt an. Er wirkte freundlich und begrüßte jeden Gast persönlich mit Handschlag. Anschließend zog er sich nackt aus und begann herumzuturnen. Für mich als Laien erschließt sich das Maß an tänzerischem Können ja nur schwer, aber es wirkte durchaus okay.
Nachdem er nach und nach einige philosophische Fragen zum Thema Tanz und Dekadenz in die Runde geworfen hatte, nahm er eine Rose, riss die Hälfte ihres Stängels ab, spuckte sich in die Hand und steckte sich die Schnittpflanze unter leisem Wimmern in den Arsch. Eine Dame in der Reihe vor mir begann ein wenig zu kichern; die Männer im Publikum schauten größtenteils nur peinlich berührt drein. Ich war nun doch sehr zufrieden mit der Vorstellung, wünschte mir aber ein Getränk mit mehr Drehmoment in meine Hände. Nachdem der Tänzer samt Blume unter der Autobahn noch etwas nackt Ballett getanzt hatte, klatschte ich zum ersten Mal ohne Sarkasmus bis zum dritten Vorhang durch.
In Anbetracht der Umstände beschloss ich, dass auch 14:00 ein legitimer Zeitpunkt war um Bier zu trinken und war mit meinem bisherigen Lebensweg sehr zufrieden.
#4
Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so wenig gesprochen habe. Meistens beschränkt sich mein tägliches Pensum auf ein paar situationsbedingte Grußformeln und wenige Handgesten. Es ist meditativ – abgesehen vom gängigen Kulturklatsch gibt es nur wenig Anlass für Austausch. Aber wiederholt wird mir auch klar, dass ich ein relativ schlechter Urlauber bin und nur schwer mit Unterforderung zurecht komme. Einmal versuche ich mit einer Szeneperson ein Gespräch zu führen; Sie hat silbernes Haar und ein kunstvoll zerstochenes Gesicht. Ich frage sie, ob sie sich erklären könne warum so viele Männer hier Sandalen tragen. Sie lacht zwar, fragt aber, ob ich darin ein Problem sähe. Ich verneine, mache allerdings meinen Standpunkt klar, dass ich den offenen Schuh als ein Privileg des weiblichen Fußes begreife und ästhetischen Entgleisungen auch im Sommer Einhalt geboten werden müsse. Unsere Meinungen gehen schnell auseinander; bevor es zu größerem Unmut kommt verabschiede ich mich.
Kurz vor der Abschlussparty wurde ein Preis für das beste Lichtdesign überreicht; eine nette Geste, um den zu oft vergessenen Mitakteuren in Bühnenproduktionen Tribut zu zollen. Zum allgemeinen Unmut war der Initiator des Preises Franzose und sprach dementsprechend miserabel Englisch. Nach einigen zähen Minuten nahm ihm jemand das Mikrophon aus der Hand und führte die Moderation fort.
Zum Höhepunkt zeichnete ein oberkörperfreier Mann eine Linie aus brennbarem Pulver auf den Boden und zündete diese an, um dem glühenden Streifen anschließend fünfzehn Minuten lang mit einer weißen Kerze in den Händen zu folgen. Im Hintergrund erklang schwermütige klassische Musik, dazu sang jemand eine Arie. Nach gut der Hälfte der Zeit begannen Menschen in der ersten Reihe dazu einstudierte Verrenkungen zu machen und blickten ihrerseits in Richtung Himmel. Die Szenerie erinnerte sehr an Lars von Triers ‚Melancholia‘, nur mit weniger Drama und Geficke. Ich bin mir nicht sicher, aber wahrscheinlich sollte es eine Parabel auf das Leben sein; auf jeden Fall dauerte es sehr lange und wirkte nicht besonders feierlich. Ich beschloss die Reise vorzeitig abzubrechen.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.